Am Handy lesen. Content als eBook

Elias Hirschl: Content. Roman. Paul Zsolnay Verlag: Wien, 2024. 

"Content" ist Ende Jänner 2024 erschienen, und ich hatte schon einiges darüber gehört und gelesen. Laut Standard-Rezension geht es in seinem Roman "um die wirtschaftlichen, politischen, menschlichen Abgründe der digitalen Welt", die FM4-Literaturseite verrät, der Text habe mit der "Generation KI" zu tun: "Das Bild am Buchcover wurde mit dem KI-Grafik-Tool Midjourney generiert, und im Interview erzählt Hirschl, dass auch der Roman teilweise mit KI geschrieben wurde". Allerdings seien die Textstellen genau nicht diejenigen, die nach der Arbeit mit einer KI-Schreibhilfe wie ChatGPT aussähen. Leseproben gibt es in Form eines Vorabdrucks im Standard und einer Leseprobe auf den Seiten der Hanser Literaturverlage, zu denen auch der Paul Zsolnay Verlag gehört. Es gibt sogar ein Musikvideo zum Buch...

Ich will ja eigentlich weiterhin keine Bücher kaufen und lieber alte Bücher lesen und darüber bloggen. Andererseits mag ich das Thema des Romans und auch Elias Hirschl. Mir fehlt zudem Erfahrung mit eBooks. Nach dem Konsum einer Leseprobe über die Website einer deutsch-österreichischen Buchhandelskette klicke ich auf "eBook" und "In den Warenkorb" - und dann dauert es nicht mehr lange, und das eBook lädt sich auf mein Handy. Einen eBookReader schaffe ich mir für diesen Versuch nicht an...


Elias Hirschls Roman auf meinem Handy, daneben ein Taschenbuch aus Papier. Foto: A.Ghoneim

Weder ästhetisch noch haptisch ist das Lesen am Handy ein Vergnügen. Aber zu "Content" passt das Lesemedium irgendwie. Die Protagonistin arbeitet als Content-Schreiberin für die Firma Smile Smile Inc., in der Marketing-Inhalte erstellt werden, beispielsweise sogenannte "Listicles". Das sind Listen-Artikel, die Klicks (Zugriffe) generieren sollen. Ein Beispiel aus dem Roman: "Die Top 14 unterschätztesten Tourist Destinations in Indien - Nummer 7 kennt absolut niemand"... Kollegin Karin aus dem Team ist die Top-Listicle Schreiberin, andere Kolleg*innen arbeiten an audiovisuellem Content, für den sie Dinge in die Mikrowelle stecken und den Prozess in der Mikrowelle filmen, oder Dinge mit einer Hydraulikpresse zerstören. Auch darüber gibt es in der Welt des WWW (außerhalb des Romans!) mehr Videos, als ich mir das je vorstellen wollte. Hirschl beschreibt diese Arbeitswelt in einer Mischung aus Flapsigkeit und Groteske, die gut zum Inhalt passt. Das Geschehen in und um Smile Smile Inc. entwickelt sich über einer durch Bergbau zerlöcherten Erdoberfläche, in der Feuer, Überflutungen, Stromausfälle zum Gesamtbild einer trashigen Dystopie beitragen. Eine Beziehungs- und eine Art Liebesgeschichte sowie die Dopplung der Protagonistin durch einen Avatar ihrer eigenen Person finden auch noch Platz. Ich habe den Roman gern gelesen, und die "Listicles", die sich durch den Text ziehen, sind mir nur selten auf die Nerven gegangen. Falls doch, hätte ich sie zwar nicht überblättern, aber weg-wischen können. 

Am Handy musste ich für eine Seite fünf Mal wischen. Die Seitenzahlen werden weiterhin so angegeben, wie im Buch. Ich kann (zumindest mit dem Reader am Handy) zwar auch Notizen machen, die finde ich aber unübersichtlich. Praktischer sind Screenshots. Zum Beispiel hier, als die Protagonistin über das (digitale) Tagebuch schreibt, das sie führt. Es [weiterlesen am Screenshot]


Screenshot von Content, S.40 (gezählt nach Buchseiten)

Diese Screenshots kann ich mir über die Galerie meiner Screenshots am Handy ansehen und habe so eine Art von Exzerpte-Sammlung. Im eBook selbst ist es beispielsweise möglich, nach dem Wort "Gefühl" zu suchen und so herauszufinden, dass es 24 Mal im Roman vorkommt. Auch von einem Treffer im Text zum nächsten zu springen ist eine Option, die das gedrruckte Medium nicht so leicht anbieten könnte. 

Inhaltlich ist die Protagonistin hier weiter gegangen als ich: Sie schreibt einen Blog, dessen Einträge sich automatisch löschen. Ich schreibe nur diesen hier, den ich nicht bewerbe und auch nicht mit Schlagwörtern versehe. Die Folge: Meine Texte (und Bilder) sind im Netz, aber niemand findet und liest sie...

Zurück zum eBook und zu einer wesentlichen Eigenschaft, die ihm im Vergleich zum gedruckten Buch fehlt: Ich kann es nicht weitergeben. Mein Konto bei der Buchhandlung würde es zwar erlauben, dass ich das eBook mit Familienmitgliedern teile, aber diese müssten im selben Haushalt leben. Jana, an die ich beim Lesen gedacht habe, weil sie unter anderem "Clickworker" ist, lebt nicht in meinem Haushalt, und ihr kann ich den Roman somit nicht "übergeben". Das eBook verlässt meine Wohnung, sobald ich mit meinem Handy ausgehe, aber es bleibt auf dem Handy und wohl auch im virtuellen Bücherregal in meinem Kund*innenkonto, solange ich es nicht lösche.

Also ist dieser Blogeintrag eine Themenverfehlung, denn das eBook kann mich nicht zu jemand anderem hin verlassen. Ich trotze der Widersinnigkeit und gebe zum Schluss noch etwas von Umberto Eco wieder, aus einem 2003 erschienenen Aufsatz, der in der deutschen Übersetzung "Innerer Monolog eines eBooks" heißt. Ich fand ihn in der Textsammlung "Die Kunst des Bücherliebens". Diese habe ich als gedrucktes Buch, und es ist eines der Bücher, die ich nicht weggeben kann. Das eBook im Text von Eco monologisiert also:

"Mir scheint, ich habe einen größeren Speicherplatz als Papierbücher, denn ein Papierbuch kann zehn, hundert, oder auch tausend Seiten haben, aber viel mehr nicht. Ich hingegen könnte sehr viele Texte beherbergen, alle auf einmal." 

Das eBook reflektiert auch über die Texte, die durch es "hindurchgehen". Mit dieser Art des Medienvergleiches müsste man sich (ich mich?) bei Gelegenheit ausführlicher beschäftigen, aber wohl nicht in diesem Blog.

Ich greife lieber die am Anfang dieses Textes herbeizitierte "Generation KI" auf, die auch "Generation ChatGPT" genannt wird. Gibt es diese Generation? Ist das ein Hype? Wir werden es sehen. Wer hören mag, was Elias Hirschl dazu sagt: Im Falter-Radio gibt es ein Interview mit ihm zu diesem Thema.

Verfasserin: Andrea Ghoneim

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