Schweitzers Jugenderinnerungen und die Alhambra

Albert Schweitzer: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit. München: C.H.Beck, 2005.

Irgendwann hatten wir den Urlaub in Granada gebucht, aber aus einer Reihe von Gründen wollte ich dann eigentlich gar nicht mehr wegfliegen. Ich tat es dennoch, mit eher lustlos gepacktem Gepäck. Auch die Bücher wurden nicht sorgfältig ausgewählt. Albert Schweitzers Jugend-Memoiren, die schon ewig unter den Lesen-und-Weggeben-Büchern herumkugelten, wanderten in meinen Rucksack...

Im Flugzeug war bereits ein Buch vonnöten, weil es in der Iberia nicht einmal mehr ein gedrucktes Bordmagazin gibt. Auf das hatte ich mich eigentlich gefreut. Da wir die Reisevorbereitungen online erledigt hatten, hatte ich nicht einmal einen Reiseführer dabei. Also packe ich "Aus meiner Kindheit und Jugendzeit" aus, und werde so in das Geburtsjahr Albert Schweitzers, 1875, zurückversetzt. Zunächst gefällt mir der Stil - insbesondere die häufig benutzten Diminutive ("Städtchen", "Häuschen", "Türmchen", ...) nicht sonderlich, aber die Zeitreise ist angenehm und entschleunigt - so sehr, dass ich schnell wegschlummere.

Dann bin ich in Granada. Hier wollte ich die Alhambra sehen, so sehr, dass ich sogar für zwei Tage Tickets gebucht habe - einmal mit Führung und einmal ohne. Zunächst aber verlasse ich die Pension Solar Montes Claros am Hügel gegenüber der Alhambra für einen Stadspaziergang. Hügelabwarts auf Natursteinwegen und -straßen, im Tal liegt die Altstadt. Obwohl Nebensaison ist, wimmelt es rund um die Kathedrale vor Touristen. Das finde ich wenig ersprießlich. Da spaziere ich lieber den Hügel hinauf, auf anderen Wegen und mit schönen Blicken über die Stadt. Am Nachmittag genieße ich unsere Terrasse, die fast Teil des Innenhofes ist. Da unser Haus in den Berg hinein gebaut ist, ist der Innenhof seinerseits benahe eine Terrasse - mit Blick auf die Alhambra.

Auf diesem schönen Sonnenplatz mit bester Aussicht geht es also weiter mit dem Buch von Schweitzer, der nun in Mühlhausen lebt und dort zur Schule geht. Das Buch ist noch immer nicht spannend, aber angenehm und entspannend.

Schweitzers Jugenderinnerungen in Andalusien. Foto: A. Ghoneim

Abends mache ich es mir mit dem Andalusien-Reiseführer aus der Zimmerbibliothek gemütlich. Irgendwie muss doch ein Urlaubsgefühl entstehen! Stattdessen lese ich im Reiseführer über Federico García Lorca, und davon, wie er bald nach dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs aus dem Haus eines Freundes abgeführt worden war. Bei einem Olivenbaum außerhalb der Stadt hätte er sein eigenes Grab graben müssen, dann sei er mit mehreren Schüssen ermordet worden. Grausliches Granada. Immerhin wurde 2006 der Flughafen der Stadt nach dem Lyriker und Dramatiker benannt, und mittlerweile kann man in Granada auch auf Lorcas Spuren wandeln.

Ich wende mich inzwischen wieder Albert Schweitzer zu. Er zieht nun schon die Bilanz seiner Kindheit und Jugendzeit. Und auf S. 78 des Buches stoße ich auf etwas wirklich Schönes: Schweitzer blieb überzeugt, dass man "so denkend und empfindend" bleiben solle, wie in der Jugend. 

[S.78]"Instinktiv habe ich mich dagegen gewehrt, das zu werden, was man gewöhnlich unter einem »reifen Menschen« versteht.
[Fortsetzung in der Abbildung]

[S. 79: Fs. des Textes aus der Abbildung] der Mundvorrat und der Wasservorrat, dessen er sich entledigte.
Nun schifft er sich leichter dahin, aber als verschmachtender Mensch."

Habe ich noch ein bisserl Vorrat an Träumen übrig? Oder bin ich wegen deren Fehlen so lustlos auf Entdeckungen? Jedenfalls erklären mir die Textstellen oben vieles. Ein Trost bleibt die nachgerade scharfe Bergsonne Granadas - und die Zeugnisse des Al Andalus in der Alhambra sind schon auch schön. Auch die Pflanzen erfreuen das Herz - und das nicht nur in den Gärten des Generalife.

Vielleicht hat irgendwann noch jemand Freude mit Albert Schweitzers Jugenderinnerungen, die ich im Bücherregal meines Zimmers in der Pension Solar Montes Claros zurücklasse.

Verfasserin: Andrea Ghoneim

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