Das praktische Buch - und mein erstes Mal TikTok

Edith Meinhart: Cop und Che. Wie ein Tschetschene und ein Polizist zu TikTok-Stars wurden. Wien, Berlin: Mandelbaum, 2024.

An einem heißen Sommerabend treffe ich mich mit einer Freundin an der Alten Donau. Sie hat gerade "Cop und Che" fertiggelesen und findet, ich müsse es auch lesen. "Ein wichtiges Buch."

Da ich gerade in andere Lektüre verstrickt bin, bin ich nicht so sicher, ob ich das Buch wirklich will. Aber es landet in meinem Rucksack, dann auf einem der Bücherstapel bei mir zu Hause - und irgendwann neben meinem Kopfpolster. Und dann beginne ich über eine Schlägerei zwischen Afghanen und Tschetschenen am Praterstern zu lesen. Wie klischeehaft! Aber ich weiß natürlich, dass sich dieses Buch nicht mit Stereotypen begnügen wird. Die Präsentation des Mandelbaum-Verlags beginnt so: 

"20 Millionen Mal wurden ihre Videos bisher angeklickt, und wöchentlich werden es mehr. Kaum ein Erwachsener kennt sie, aber für Jugendliche ist der 24-jährige Ahmad aus Tschetschenien ein Star, seit er dem Wiener Polizisten Uwe auf TikTok die frechsten und unmöglichsten Fragen stellt."

Mit zunehmender Faszination lese ich die Geschichte von Ahmad, der aus einer gebildeten tschetschenischen Familie stammt, aber unter anderem durch die Vorurteile gegen Tschetschenen an den Rand seiner Schulgemeinschaft gedrängt wird - und so zum  Schulschwänzer wird. So beginnt eine Abwärtsspirale, die Bandenkriminalität, Gefängnis und schließlich fast das Kämpfen für den Islamischen Staat einschließt. Ahmad ist zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt. Sein Vater schnappt ihn in Graz den Dschihadisten weg: "Ahmad möchte im Erdboden versinken, als sein Vater, den IS-Männern, die seinen Sohn zum Bus brachten [...] ins Gesicht brüllt und sie 'feige Schweine' nennt. 'Warum zieht ihr nicht selbst in den Krieg, statt die Kinder von anderen nach Syrien zu schicken?'" (S. 78)

Der Vater schickt Ahmad zu einem Imam in einer tschetschenischen Moschee - und der Jugendliche bewegt sich zwischen "IS-Keller" und Moschee, bis er es tatsächlich schafft, die Wahrheit zu erkennen. Ich frage mich, ob es solche Wendungen im Leben Jugendlicher öfters geben kann, oder ob es sich hier um einen glücklichen Einzelfall handelt.


Cop und Che und mein Kopfpolster. Foto: A. Ghoneim

Die Geschichte des jungen Wieners Ahmad, der wohl immer auch Tschetschene bleiben wird, erzählt im Buch Judith Meinhart, eine Journalistin, die sich mit Migrationsgeschichten beschäftigt. Parallel zu dieser Geschichte taucht immer wieder der Werdegang des Polizisten Uwe auf. Als "Grätzelpolizist" trifft er schließlich auf Ahmad. Gemeinsam mit dem Sozialarbeiter Fabian planen sie TikTok-Videos um an Jugendliche heranzukommen - und der Plan geht auf. Und ich schaue nach und lerne, dass ich TikTokVideos auch ansehen kann ohne mich dort anzumelden. Unter https://www.tiktok.com/@ahmadtvie gibt es "Cop & Che-Fragen & Antworten zum Recht", die mittlerweile ergänzt wurden um "Job & Che-Fragen & Antworten zu Arbeit".

Das Buch hat mich einerseits berührt, weil ich mir Geschichten von IS-Radikalisierung ähnlich vorgestellt habe - oft finden die Anhänger des "Islamischen Staats" erst dort Anerkennung und etwas, was sie für Freundschaft halten. Andererseits ist es ein praktisches Buch, wenn es Diskussionen rund um Migration gibt. Das Buch zeigt, dass das Gute und Verständnis füreinander möglich sind, dass es aber einiges an Arbeit und vor allem Respekt von beiden Seiten braucht, um das Mögliche auch zu erreichen.

Es ist natürlich außerdem wunderbar, dass ich mir das Buch ausgeliehen habe: Ich gebe es Gudrun einfach zurück. Möge es noch viele Leser*innen finden!

Verfasserin: Andrea Ghoneim 

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