Zwischen den Saisonen mit Oswald von Wolkenstein

Dieter Kühn: Ich Wolkenstein. Biographie. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1996. 
Jetzt bin ich schon seit fast 2 Wochen "durch" mit der durchaus langwierigen Lektüre von Dieter Kühns berühmter Biogfrafie von Oswald von Wolkenstein (1377–1445). Aber ich bin so sehr zwischen den Saisonen "verfangen", dass das Schreiben nicht so recht "funktionieren" will. Das Fotografieren auch nicht: mit diesem Buch habe ich nahezu nichts erlebt. Mit über 500 Seiten ist es auch zu dick, um mitgenommen zu werden. Es wartete also in meinem Bett auf mich, und wenn ich den Winter wieder einmal satt hatte, tauchte ich ab ins Mittelalter. Dazwischen warte ich auf den Frühling und schaue nach, was sonst so im Internet über Oswald zu finden ist. Als Bild gibt es statt des Fotos einen Screenshot von der Website der S. Fischer Verlage (ja, sie schreiben sich im Plural...)
Screenshot von https://www.fischerverlage.de/buch/dieter-kuehn-ich-wolkenstein-9783596190089Ich lese kaum Biografien. Die hier beschriebene (meine Ausgabe sieht ebenso aus wie jene auf dem Screenshot, ist aber 1996 erschienen) fand wohl den Weg in mein Bücherregal, weil mein Studium auch mittelhochdeutsche Literatur beinhaltete und die Mittelalter-Biografien von Dieter Kühn empfohlen wurden. Da ich eher die Primärliteratur las (von Oswald von Wolkenstein war nichts dabei gewesen), geriet das Buch von Dieter Kühn irgendwann in Vergessenheit.

Dieter Kühn ist 2015 verstorben. In einem Nachruf in der Welt wird betont, dass der Autor, der vielerlei Biografien verfasste, durch seine Werke über Schriftsteller aus dem Mittelalter in die Literaturgeschichte eingegangen sei.  Mit Oswald von Wolkenstein nahmen diese Geschichten eines Menschen, seines Schaffens und seiner Zeit 1977 ihren Anfang. Danach schrieb Kühn noch über Parzival, "Neidhart aus dem Reuental" und Tristan und Isolde.

Die Art, wie Kühn seine Suche nach Fakten und seine Überlegungen in der Biografie des Wolkensteiners miterleben lässt, ist tatsächlich eine ganz besondere. Er reist, macht sich mit örtlichen Gegebenheiten vertraut, lässt mich als Leserin daran teilhaben. Zum Beispiel auf S. 233:

"Hauenstein - unter den Burgen, in denen Oswald lebte, ist sie am engsten mit seinem Namen verbunden; etwa ein Jahrzehnt dauerte der Streit um Hauenstein. Gleich bei der ersten Südtirol-Reise schaue ich mir diese Burgruine an. 

Ich fahre von Seis in Richtung Ratzes, Bad Ratzes, halte an einem Schnittpunkt von Waldwegen. Ein Wildbach: der Frötschbach. Er fließt, unterhalb der Ruine Hauenstein, westwärts, mündet in den Schwarzgrießbach, und der mündet, unterhalb der Burgruine Aichach, in den Eisack.

Ich falte die Karte zusammen, laufe los. Fichtenwald. Ein weg schräg hoch in die Richtung, in der die Burg liegen muss, im Hauensteiner Wald zwischen Seis und dem Sockel der Santnerspitze. In meinem Kopf ein Verspaar, es beginnt sich mechanisch zu wiederholen: Ich hör die Vögel groß und klein In meinem Wald um Hauenstein. [...]"

Kühn hat die Gedichte/Lieder (und andere Schriften) von Oswald von Wolkenstein, die in der Biografie vorkommen, übersetzt. Seine Übertragungen aus dem Mittelhochdeutschen behalten das Metrum bei, verzichten aber auf das Reimschema. So kann er inhaltlich näher an der Vorlage bleiben. Mir fehlt in der Biografie allerdings das Mittelhochdeutsche, das nur selten herbeizitiert wird. 

Wer sich an den Originaltexten erfreuen will, findet ein Porträt von Oswald mit einer Reihe von Texten auf den Seiten der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank.

Hier ließe sich noch einiges schreiben, unter anderem zur Burg Hauenstein, die ja gar nicht Oswald gehörte. Er hat sie sich ersessen, auch um den Preis von Gefangennahme und Folter. Oswald von Wolkenstein war als Dichter, und wohl auch als politischer Akteur eine beeindruckende Persönlichkeit. Hätte ich mich nur mit seinen Dichtungen beschäftigt, würde ich ihn wohl bewundern. "Dank" der Biographie wurde ich auch damit konfrontiert, was ein Burgbesitzer im Mittelalter so tun musste, wenn er essen und trinken und die Seinen ernähren wollte: Er "zog" Einkünfte aus der Arbeit seiner Pächter (und der Pächter von Besitzungen, die ihm gar nicht gehörten: Getreide, Vieh, Wein, Geld. Das ist wenig sympathisch. Andererseits war Oswald auch immer wieder in Finanznöten, weil auch König Sigismund, in dessen Diensten er immer wieder stand, oft säumig war, versprochenes Geld auszubezahlen. 

Die Biografie von Dieter Kühn rezensiert Peter Wapnewski im Spiegel (31/1977). Und er macht das so kunstreich, dass sowohl das Buch als auch das Thema "Lebensformen im späten Mittelalter, dargestellt an dem Ritter und Sänger O. v. W." (ebd.) zur Sprache kommen - und auch noch das Geschichtsbewusstsein der potentiellen Leser*innenschaft. 

Ich mag nun nicht mehr schreiben und denke über eine Burg nach, der ich das Buch zukommen lassen könnte. Ob wohl die Burg Plankenstein Lektüreregale für ihre Gäste oder sonstige Verwendung für "Ich, Wolkenstein" hat?

Verfasserin: Andrea Ghoneim

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