Tania Blixen. Sieben phantastische Geschichten. Deutsche Ausgabe. Deutsche Verlags-Anstalt: Stuttgart, 1979.
Sie hatte eine Farm in Afrika... Karen Christentze Dinesen, geboren 1885 in Rungstedlund, Dänemark, heiratete Baron Bror von Blixen-Finecke. Die beiden kauften eine Farm in Britisch-Ostafrika. Weder die Farm noch die Ehe liefen gut, doch der autobiographische Roman Out of Africa/Jenseits von Afrika machte die Autorin berühmt. Sie schrieb für den englischen Sprachraum als Isaak Dinesen, in Dänemark als Karen Blixen, und im deutschen Sprachraum ist sie als Tania Blixen bekannt.
Blixens bzw. Dinesens erstes Buch wurde von ihr auf Englisch geschrieben: Seven Gothic Tales erschienen erstmals 1934 in den USA. Sie übertrug es dann selbst ins Dänische (diese Fassung erschien 1935).
Wie aber kommen Blixens Sieben phantastische Geschichten in mein Bücherregal? Hatte mich der Film "Out of Africa" kritisch gestimmt, und ich wollte daraufhin etwas anderes von Tania Blixen lesen? Die Ausgabe, die ich habe, ist auch eine Donauland-Ausgabe gewesen, daher könnte das Buch auch ein Weihnachtsgeschenk gewesen sein - in den 1970ern und 80ern waren viele Verwandte Mitglieder der Buchgemeinschaft Donauland gewesen. Und da ich so überlege, glaube ich fast, das Buch bzw. seinen Schutzumschlag im Bücherregal meiner Großtante gesehen zu haben. Also nahm ich den Band wohl von dort zu mir.
Tania Blixen. Sieben phantastische Geschichten (1979). Foto: A. Ghoneim
Ich beginne die Lektüre mit der ersten der Geschichten, "Die Flut von Norderney", die nicht nur eine Ostfriesland-Bloggerin an "Tausendundeine Nacht auf Norderney" denken lässt. Vier Menschen, die das Schicksal zusammengebracht hat, müssen während der Flut die Nacht auf einem Heuboden verbringen, der mit dem Anbruch des Morgens bereits so unterspült ist, dass unwahrscheinlich ist, dass die Menschen und der Hund, der bei ihnen ist, noch gerettet werden können. Während der Nacht löst eine Geschichte die andere ab, Lebensläufe und -entwürfe werden enthüllt. Passend zum 1001-Nacht-Setting wird die letzte Narration nicht beendet. Der Schlusssatz ist auch in der deutschen Ausgabe auf Französisch:
"A ce moment de sa narration", sagte sie, "Schéhérezade vît paraître le matin, et, discrète, se tut." (S. 71)
Hier ein Blick auf alle Texte, die das Buch enthält:
Fast alle der Geschichten haben einen stattlichen Umfang. Da sie alle auch ein starkes Spannungsmoment haben, ist es eine Lust (und durchaus auch ein Muss), sie in einem Zug durchzulesen.
Alle Texte des Buches enthalten mehrere, auf unterschiedlichen Ebenen miteinander verknüpfte Binnenerzählungen, die durch eine Rahmenerzählung kontextualisiert werden. Blogger P.H. sieht hierin eine strukturelle Anlehnung an die Romantik:
"Diese Form der Verschachtelung von Erzählebenen war eine Spezialität der Brentano, von Arnim und – vor allem – des jungen Tieck. Es ist anzunehmen, dass Blixen die Erzähltradition des grossen Nachbarn Dänemarks sehr gut kannte." (P.H. 2014: Isaak Dinesen: Seven Gothic Tales)
Welche Art von Geschichten sind die Texte in "Sieben phantastische Geschichten" eigentlich? Erzählungen? Novellen? Gerhard Neumann meint dazu:
"Wenn man unter der modernen Novelle einen Text versteht, der ein ›Stück Leben‹ (André Jolles) herausgreift, das möglichst als ›unerhörtes Ereignis‹ (Goethe) erscheint und einen ›Wendepunkt‹ (Tieck) enthält; einen Text also, der pointiert und krisenorientiert erzählt ist, dann wird man nicht zögern, auch die Geschichten Karen Blixens als ›Novellen‹ zu bezeichnen und zu lesen." (Gerhard Neumann 2008)
Diese Charakteristik passt tatsächlich auf alle Geschichten im vorliegenden Band. Meine Lieblingsgeschichte ist "Die Träumer", weil sie ihre Spannungsmomente nicht nur aus den Eigenschaften der Novelle bezieht, sondern auch durch eine Vielheit von Blickwinkeln - und auch eine Art von multipler Identität der Protagonistin bezieht. Nach einem Unfall kann sie nicht mehr in ihr altes Leben zurück und beschließt: "Ich will kein einzelner Mensch sein, [...] ich will eine Vielfache werden" (S. 313). Auch hier wird nicht nur die die Art, wie diese Frau vielfach existiert, sich immer wieder neu erfindet, aus der Perspektive dreier Männer dargestellt. Einer dieser Männer ist in der Rahmenerzählung in einer mondhellen Nacht auf einem Schiff - und erzählt die Geschichte der von ihm geliebten Olalla, die davor einmal die gefeierte Opernsängerin Pellegrina Leoni war und noch viele andere, einem Geschichtenerzähler.
Ich will die Novelle (?) hier weder nacherzählen noch zu ausführlich diskutieren. Ich übergebe das Buch und die damit verbundenen Lesefreuden an Claudia, und bin neugierig, ob es ihr gefällt.
Übrigens: Wer jetzt Lust bekommen hat, mehr über die Autorin der Geschichten und des berühmten Afrika-Romans zu erfahren: Erst 2021 erschien eine Blixen-Biographie von Tom Buk-Swienty auf Deutsch.
Verfasserin: Andrea Ghoneim
Kommentare
Kommentar veröffentlichen