Helga Schubert. Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten. München: dtv, 9.Aufl 2021.
Gekauft hatte ich
mir dieses Buch für die freien Tage Ende des Jahres 2021. Es musste dann aber
doch auf den Sommer warten. Und das ist vor allem wegen der ersten Geschichte
dieses Buches gut so. Diese heißt „Mein idealer Ort“, beginnt am ersten Tag
„der langen wunderbaren Sommerferien“ (S.7) und hat Erinnerungen der Autorin, Helga Schubert, an
Sommer in ihrer Jugend zum Gegenstand.
Der ideale Ort
meiner eigenen Jugend ist keine Hängematte in einer „Greifswalder
Obstbausiedlung“ sondern der Schlaffauteuil in meinem Zimmer in Wien. Vor
Beginn der Sommerferien war ich noch mit meinen Freundinnen Schwimmen gegangen,
nun aber waren die Ferien da. Jede zog in eine andere Richtung und bei mir
zu Hause wurde ebenso gepackt für die Sommerfrische. Auch ich erledigte meinen
wichtigsten Weg für den Beginn der Sommerferien: Ich ging in die Städtische
Bücherei und lieh mir so viele Bücher aus, wie ich durfte. Neun Bücher waren
das… Dann trug ich meinen Schatz nach Hause, warf mich mit dem ersten Buch auf
den Fauteuil und stand dazwischen höchstens noch ein Mal auf, um ins
Eisgeschäft zu gehen. Das erste Buch der Sommerferien war mein idealer Ort.
Freitags kam ich schon am frühen Nachmittag nach Hause. Helga Schuberts Buch hatte mich davor schon einige Tage begleitet – unter anderem nach Oberlaa, in die Therme Wien. Dort bin ich aber nur geschwommen. Auf dem Weg in die Therme las ich „Das alles nicht, nichts davon“. In dieser Geschichte setzt sich die Autorin mit Fragen eines Literaturwissenschaftlers an sie auseinander – und mit Fragen nach ihrem Selbstverständnis. Sie bemerkt dazu: „Es kommt einem ja vor wie im Märchen: Drei Fragen, und dann ist man erlöst. Die DDR ist wie eine Brandmarke bei einem Zuchtpferd – man hat sie lebenslang“ (S. 59). In mehreren der Geschichten in „Vom Aufstehen“ geht es um das Verhältnis Helga Schuberts zur DDR – und das Verhältnis ist keineswegs spannungsfrei, da u.a. Schuberts Bücher nicht in der DDR gedruckt werden durften. Das Buch war mit mir inzwischen am Kaiserwasser gewesen, doch wieder blieb zwischen Arbeitsende und dem Essen gehen mit meinem Mann nicht genug Zeit für „Vom Aufstehen“. Am Freitag aber ist nun mein Sommernachmittag wie damals: Ich werfe mich aufs Sofa und sauge Geschichten in mich ein. An einem schwülen Nachmittag wie heute kann ich mir sogar vorstellen, dass die Autorin den Winter liebt. „Im Winter wird mein Leben klar und durchsichtig“ (S. 83) schreibt sie in „Mein Winter“. Ich will mir das gern merken, zur Stärkung an grauen Wintertagen.
Thema des Klappentexts sind eher die Geschichten, in denen sich Helga Schubert mit ihrer Mutter auseinandersetzt. Auch diese Texte berühren durch eine feine Mischung aus beobachtendem Erzählen, das zum Teil durch Meta-Dialoge, in denen über das Erzählen gesprochen wird, ein wenig Distanz zum Erzählten zu schaffen versucht. Oder: eigentlich bemerken dadurch die Lesenden, dass die Autorin sich ein wenig Distanz zu schaffen versucht, sich wieder anders in das zu Erzählende hineinarbeitet, einem Hinweis zu folgen versucht, versucht, schreibend etwas umzusetzen, was sie sich eigentlich vorgenommen hatte.
Einen weiteren Abend
verbringe ich noch mit dem Buch, dann habe ich alle Geschichten gelesen.
Zwischendurch wäre mir auch jemand eingefallen, der ich das Buch hätte
weitergeben wollen – oder würde sie Helga Schuberts Art zu erzählen doch nicht
mögen?
Letztlich ist die
Frage müßig, denn ich denke hin und her und die Zeit vergeht und schließlich
wird mir klar, dass ich dieses Buch einfach (noch) nicht hergeben will oder
kann. Ich muss es noch bei mir behalten, ich will es wieder lesen – am liebsten
dann, wenn ich so alt bin wie die Erzählerin beim Verfassen der Geschichten –
also zwischen 70 und 80 Jahre.
Was tue ich nun? Ist
das ein Blogeintrag? Oder „muss“ ich nun etwas anderes schreiben, über ein
Buch, das mich wirklich verlässt?
Hmmm… Scheitern
und darüber schreiben wird ja auch erlaubt sein. Und nach der Relektüre in ca.
20 Jahren werde ich das Buch jedenfalls weitergeben. Sollte es zwischendurch
jemand ausleihen wollen, bitte um Mail an andrea.ghoneim[at]gmail.com. So käme das Buch ja auch unter die Leute...
Zum Hineinhören ins
Buch gibt es einige Lesungen von Helga Schubert auf Youtube, z.B. vomLiteraturfestival Berlin.
Zum PDF-Download
gibt es eine Fassung des letzten Texts aus „Vom Aufstehen“ von 2020. Der Text heißt
auch „Vom Aufstehen“. Für ihn bekam Helga Schubert den Bachmannpreis.
Verfasserin: Andrea Ghoneim
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