Feinsteinzeug und Mauerläufer
Nell Zink. The Wallcreeper. Dorothy [a publishing project], 2014 (4th printing 2015)
Eigentlich wollte ich ja eine Schreibklasse mit Nell Zink besuchen, die von der sfd für April angeboten worden war. Aber meine Anmeldung landete nicht im richtigen Postfach. Ich schrieb also weiterhin für mich allein, bestellte mir aber Nell Zinks Erstlingswerk "The Wallcreeper".
Einer Freundin habe ich auch von der Schreibklasse und dem Buch erzählt. "The Wallcreeper", erwähne ich, "also auf Deutsch der Mauersegler". Die Freundin, die sich gut mit Vögeln auskennt, meint, das müsse ein Übersetzungsfehler sein: "wallcreeper" heißt "Mauerläufer". Und so heißt auch die deutsche Ausgabe des Buches.
Diese wäre leichter erhältlich gewesen. Auf das englische Original muss ich warten. Bevor ich es bekomme, findet schon die Präsentation der Schreibklasse statt. Ich bemerke, dass sie im Rahmen der Veranstaltung Sprachspiel. Biennale.West stattfindet, und dass es vor der Präsentation ein Sprechkonzert von Gerhard Rühm und Monika Lichtenfeld gibt. Welch ein Fest! Ich bin der Schreibklasse dankbar, dass sie mich auf diese Performance aufmerksam gemacht hat - und finde dann auch einige Texte der Schreibklasse ganz gut. Nicht alle, manche vermenschlichen für meinen Geschmack die Vögel zu sehr - und die breite Faszination für den Kuckuck kann ich auch nicht ganz nachvollziehen. Großartig war der Einstieg, ein Gespräch zwischen der sehr humorvollen und schlagfertigen Nell Zink und Fritz Ostermayer.
Das Buch "The Wallcreeper" erhalte ich schließlich knapp vor dem Beginn der Renovierung meines Badezimmers. Zur Hälfte lese ich das 193 Seiten umfassende Werk als Bettlektüre. Schon auf der ersten taucht der Mauerläufer auf. Er fliegt ans Autofenster, verursacht so ein abruptes Manöver des Fahrers und die Ich-Erzählerin Tiffany ("Tiff") hat eine Fehlgeburt. Zunächst ist ihr aber nur übel - und der Mauerläufer gibt ein Lebenszeichen:
From the passenger seat, the wallcreeper said, "Twee."
"Open the bag!", I cried.
"Twee!" it said again.
Stephen pulled over and busied himself with it for a moment. He said, "I thought it was dead. I just wanted to get it off the road. [...] You should see its wings. For me, it's a lifer. It's like the most wonderful bird. But it's a species of least concern and actually they're all over the place except anyplace you would normally go. I identified it even before I hit it. Tichodroma muraria. [...] I'm rambling on like this because you might have a concussion and you're not supposed to sleep." (p.8)
Tiffany und ihr Mann Stephen, beide aus den USA, sind in Bern. Sie lernten sich kennen, heirateten und zogen nach Bern, wo er in einem Pharma-Projekt arbeitet. Sie leben mit dem Mauerläufer, haben Sex miteinander und auch mit anderen.
Inzwischen hat sich meine Badezimmerbaustelle so "gut" entwickelt, dass ich in eine andere Wohnung ausweiche. Beim Pendeln zwischen den Wohnungen und als Ablenkung von Organisatorischem und Putzen dabei: das Buch. Stephen ist "Birder", passionierter Vogelbeobachter, und Tiff teilt seine Liebe weitestgehend. Der Mauerläufer lebt weiter mit ihnen, im Frühjahr öffnen sie ihm dann das Fenster. Er fliegt davon, kommt aber im Winter wieder. Stephen verliebt sich in eine Umweltaktivistin und engagiert sich selbst für Naturschutz, und auch seine Frau entwickelt Liebe zu Umweltaktivismen und zu einem Lobbyisten aus der Szene. Sie bleiben zusammen, bis...
Die letzten Seiten des Buches las ich im Garten der "Fluchtwohnung". An ein Foto habe ich nicht gedacht. Schließlich posiert "The Wallcreeper" schon wieder bei mir zu Hause - aber immerhin mit den schönen Hortensien aus dem Garten.
The Wallcreeper mit Hortensien. Bild von Andrea Ghoneim 2022
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